Anwendungen von Gamification im Ideenmanagement
Im Gabler Wirtschaftslexikon wird Gamification wie folgt definiert: „Gamification ist die Übertragung von spieltypischen Elementen und Vorgängen in spielfremde Zusammenhänge mit dem Ziel der Verhaltensänderung und Motivationssteigerung bei Anwenderinnen und Anwendern. Zu den spieltypischen Elementen gehören Beschreibungen (Ziele, Beteiligte, Regeln, Möglichkeiten), Punkte, Preise und Vergleiche. Zu den spieltypischen Vorgängen zählt die Bewältigung von Aufgaben durch individuelle oder kollaborative Leistungen.“ Dabei wird auch klargestellt, dass Gamification keinesfalls auf den Online-Bereich beschränkt ist – Spieledesignprinzipien kann man auf fast alles anwenden! Im entsprechenden Eintrag bei Wikipedia wird zudem darauf hingewiesen, dass Lernprozesse davon profitieren, wenn sie mit einer spielerischen Erfahrung verbunden werden.
Typische Anwendungen von Spieledesignprinzipien im Ideenmanagement sind:
- Wettbewerbe und Rankings können dauerhaft angelegt sein (z.B. als Abteilungswettbewerbe, Vergabe eines Wanderpokals, Kür eines „Vorschlags des Monats“) oder einmalig im Zusammenhang mit einer Sonderaktion (z.B. Auswahl der Top 10 Ideen, die zu einem Kampagnenthema eingereicht wurden). Pate steht hier der Gedanke des sportlichen Wettstreits.
- Verlosungen können wiederkehrend durchgeführt werden (z.B. Tombola für alle im Laufe eines Jahres umgesetzten Vorschläge) oder einmalig im Zusammenhang mit einer Sonderaktion (z.B. unter allen während der Aktionsphase oder zum Kampagnenthema eingereichten Vorschlägen). In manchen Unternehmen werden auch Lose (z.B. von Lotterien gemeinnütziger Organisationen) als Sachprämien im Rahmen der „normalen“ Prämierung angeboten. Pate für Verlosungen ist das Zufallsprinzip, das vielen Spielen ihren eigenen Reiz gibt.
- Transparenz und Rückmeldung über den erreichten Stand sind natürlich auch in vielen anderen Prozessen eingebaut, ohne dass damit eine spielerische Komponente verbunden wäre. Als spieltypische Elemente im Ideenmanagement können sie etwa in der Visualisierung von Zählwerten bestehen (z.B. Anzahl eingereichter oder umgesetzter Vorschläge, erreichte Punktzahl in einem Bewertungssystem), in der Anzeige der eigenen Position in einer Rangliste oder in einer fortlaufenden Fortschrittsanzeige (z.B. bereits bewältigte Arbeitsschritte bei einer Begutachtung, aktueller Status in einer Status-Hierarchie). Pate steht das Rezept, Lernen durch unmittelbares Feedback über Erfolg oder Misserfolg einer Aktion zu unterstützen.
- Gewinne und Preise sind in vielen Spielen vorgesehen. Gleichwohl man kann auch spielen, ohne dass es „Gewinner“ und „Verlierer“ gibt – etwa, wenn man Szenen (wie im Theater) oder Szenarien (in einer Simulation) durchspielt. Der „Gewinn für alle“ sind dann Spaß, Unterhaltung oder Erkenntnisse. Ansonsten sind die „Ehre, Gewinner zu sein“ und Erfolgserlebnisse (über die man sich ggf. auch nur alleine freuen kann) oft die wichtigsten Preise – auch im Ideenmanagement. Dazu kann ein breites Spektrum weiterer Preise kommen: Geldbeträge, Sachpreise, Symbole (z.B. Pokale), Zugänge zu Schlüsselpersonen oder exklusiven Veranstaltungen, öffentliche Ehrungen, Verleihungen eines besonderen Status usw. Pate ist der Gedanke, dass Spielen reizvoller und spannender wird, wenn die Mitspieler durch die Aussicht auf mögliche Gewinne ernsthafter und motivierter „dabei sind“.
Praxisbeispiele zum Thema „Belohnung, Geld und Status“
Es gibt wohl nur wenige Unternehmen, die nicht das eine oder andere der voranstehend genannten spielerischen Elemente anwenden (oft, ohne gleich an „Gamification“ zu denken). Dagegen ist die Vergabe von verschiedenen Status-Stufen, die „Mitspieler“ je nach Erfüllung bestimmter Kriterien erreichen können, um dann von entsprechenden Privilegien oder Belohnungen zu profitieren, weitaus seltener. Daher stellen wir hierzu einige Praxisbeispiele vor:
- Bei der KSB SE & Co. KGaA setzt das Ideenmanagement gemeinsam mit verschiedenen Fachabteilungen „Challenges“ auf. Dabei handelt es sich um Kampagnen mit definierten Problemstellungen, die nur einen Bereich betreffen oder auch global ins Unternehmen gestellt werden können – Grundlage ist jeweils die spezifische Fragestellung. „Belohnungen“ können für jede „Challenge“ individuell definiert werden: Etwa als ein Frühstück für den Bereich bei Erreichen einer vorab definierten umsetzbaren Ideenanzahl (das stärkt gleichzeitig das Teamgefühl). In der neusten Nachhaltigkeits-Challenge werden Bäume für einen „Ideenwald“ gepflanzt mit den Ideengebern als Paten.
- Bei Liebherr sammeln Mitarbeiter im zentralen System Punkte je nach Stadium, den ihre Ideen erreichen. Ob und wie das genutzt wird, bleibt den einzelnen Gesellschaften überlassen. Manche ermitteln auf dieser Basis „Gewinner“, denen besondere Benefits zugutekommen (z.B. ein ehrendes Meeting mit der Geschäftsführung).
- Bei der Viessmann Group erhalten Einreicher je nach Anzahl und Wirkung der Vorschläge „Sterne“ und „Sternschnuppen“ in verschiedenen Farben. Diese symbolisieren den erreichten Status, der mit gestaffelten Vorteilen verbunden ist (von Give-aways bis zum Zugang zu exklusiven Veranstaltungen oder zu Gesprächsmöglichkeiten mit Schlüsselpersonen). Beispielsweise sind für die Sternfarbe „Gelb“ 10 - 29 eingereichte Ideen erforderlich, für „Blau“ 30 - 69 Ideen und für „Türkis“ 70 - 99 Ideen. Die Sterne und Sternschnuppen werden im Profil der Nutzer angezeigt, um einen spielerischen Aspekt und Anreiz zu verleihen (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: „Sterne“ als Symbole für den erreichten Status als Einreicher beim Ideenmanagement „Vi inspire“ der Viessmann Group – hier ein „gelber Stern“ für einen Einreicher (Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung).
Ein noch ganz anderes spielerisches Element kann in einer Variation im Umgang mit dem „ernsten“ Thema „Geld“ bestehen. Im folgenden Praxisbeispiel wird gleichzeitig der Teamgedanke gefördert:
- Bei der Ottobock SE & Co KGaA erhalten sowohl die Kostenstelle des Ideengebers als auch die Kostenstelle des Gutachters Punkte, und zwar im Wert von jeweils 1,7% des berechneten oder bei nicht-rechenbaren Ideen mit einem Stufenmodell ermittelten Nutzens (mit einem harten Deckel bei jeweils 250 Euro). Die Punkte erhält das Team in Form von „Chips“ die in verschiedenen „Chip-Werten“ ausgedruckt werden (siehe Abbildung 2). An den Team-Boards, an denen die wöchentlichen 15-Minuten-KVP-Meetings stattfinden, befinden sich (monatlich aktualisierte) Aushänge, die die Anzahl eingereichter Vorschläge, die Höhe der Einsparung und die Anzahl noch verfügbarer Team-Punkte zeigen. Das Team kann die angesammelten Chips für gemeinsame Team-Events verwenden. Je nach Höhe des Betrags organisieren die Teams beispielsweise ein gemeinsames Frühstück oder planen einen ganzen Ausflug. Punkte können auch über die Jahre angesammelt werden, um ein größeres Event zu finanzieren.
Abbildung 2: Chips und Sammeldose bei der Ottobock SE & Co KGaA (Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung).
Praxisbeispiele zum Thema „Inspiration und Lernen“
Dass es sich spielerisch am besten lernt, wurde bereits oben erwähnt. Der Grund dafür liegt in der Funktionsweise unseres Gehirns, in dem beim Lernen neuronale Bahnungen angelegt und stabilisiert werden müssen – mehr dazu finden Sie in der Blogserie zum „Neuroideenmanagement“ (über die Links am Ende des ersten Beitrags gelangen Sie zu den weiteren Beiträgen).
Ein Praxisbeispiel, das bei der Lufthansa Technik AG genutzt wird, um Führungskräften den Ideenmanagementprozess und ihre damit verbundenen Aufgaben und Rollen interaktiv nahezubringen, hatten wir im Blogbeitrag „Erfolgsfaktor 9/9 – Ressourcen: Know-how“ vorgestellt.
Ein anderes Spielkonzept („Ideepoly“), das ebenfalls den Lauf einer Idee in vier Phasen von der „Entstehung“ über die „Begutachtung“ und „Umsetzung“ bis zur „Anerkennung“ begleitet, wurde vor vielen Jahren in einer firmenübergreifenden Kooperation entwickelt. Es wird nach wie vor dafür genutzt, dass sich neue Auszubildende, Mitarbeiter und Führungskräfte spielerisch damit auseinandersetzen, welche Umstände und Verhaltensweisen Ideen voranbringen – und welche bremsen oder zurückwerfen.
- Jeder der Phasen entspricht ein farblich unterschiedlich gekennzeichneter Balken im Kürzel „VV“ für Verbesserungsvorschlag (siehe Abbildung 3). Per Würfel wird ermittelt, wie weit man zieht.
- Felder mit einem schwarzen Punkt in der Mitte sind „Ereignisfelder“. Wer darauf landet, zieht eine „Ereigniskarte“ der gleichen Farbmarkierung und liest den Text vor. Das gibt Anlass zu erläuternden Bemerkungen des Trainers bzw. Ideenmanagers oder zu Diskussionen unter den Teilnehmern. Die in Abbildung 4 gezeigten Beispiele für mögliche Texte sollen nur als Anregungen für Formulierungen dienen, die auf Ihr eigenes Unternehmen zugeschnitten sind. Um Wiederholungen zu vermeiden, sollte jeder Stapel mindestens 25 verschiedene Karten umfassen.
- Erst wenn alle Anweisungen der (vielleicht auch mehreren nacheinander zu ziehenden) Ereigniskarte(n) befolgt sind, kommt der nächste Mitspieler an die Reihe.
- Dieses Beispiel zeigt, dass Gamification nicht aufwendig sein muss – das Spielbrett und die Ereigniskarten können in kurzer Zeit selbst hergestellt werden (z.B. in einem kleinen Azubi-Projekt).
- Auch die Inhalte der Ereigniskarten müssen Sie sich nicht selbst ausdenken. Allein das Texten und die Überlegung, wieviel „Fortschritt“, „Stillstand“ oder „Rückschritt“ ein bestimmter Umstand oder ein Verhalten zur Folge haben sollen, können eine lehrreiche (und gleichzeitig spielerische und mit Spaß verbundene) Aktivität in einem hierarchie- und funktionsübergreifenden Workshop sein!
Abbildung 3: Anregung für ein Spielbrett zur Abbildung der Abläufe im Ideenmanagement. Rot: „Ideen entwickeln und einreichen“. Orange: „Ideen begutachten und entscheiden“. Gelb: „Ideen umsetzen“. Grün: „Ideen anerkennen“.
Abbildung 4: Anregungen für „Ereigniskarten“. Für jeden Stapel sollten mindestens 25 verschiedene Karten vorhanden sein.
Ein weiteres Beispiel ist ein „Inspirationsgenerator“, der Fragen zur Inspiration für Einreicher „produziert“. Er basiert auf der in jeder Situation berechtigten Ausgangsfrage „Wie kann man das besser machen?“. Allerdings ist diese Frage sehr allgemein. Oft fallen Antworten leichter, wenn Fragen konkreter sind. Für die Frage „Wie kann man die Ausgangsfrage konkreter machen?“ haben wir in der Ausgangsfrage das Wort „das“ durch „die Ausgangsfrage“ und das Wort „besser“ durch „konkreter“ ersetzt. Dabei haben wir angenommen, dass in diesem Fall „konkreter“ besser ist als „allgemein“. In anderen Fällen mag es besser sein, wenn eine Frage allgemeiner gestellt wird.
- So oder so – Sie erkennen jetzt, wie der „Inspirationsgenerator“ funktioniert: Aus einer großen Liste von Worten wird ein Ersatz für „das“ ausgewählt, aus einer anderen großen Liste ein Ersatz für „besser“. Dadurch entsteht eine Vielzahl neuer Fragen, die jede auf ihre Weise in irgendeiner Hinsicht jemanden inspirieren kann (siehe Abbildung 5).
- Spielerisch wird der „Inspirationsgenerator“ dadurch, dass die Auswahl möglichst per Zufallsprinzip erfolgt – ähnlich wie bei Legespielen für kleine Kinder, bei denen man Beine, Rumpf und Köpfe von verschiedenen Tieren zu neuen Phantasiegestalten kombinieren kann. Tatsächlich kommt es äußerst selten vor, dass eine Kombination anderer Worte für „das“ „besser“ völlig sinnlos wäre. Fast immer ergeben sich inspirierende Impulse und Assoziationen, oft mit einem Lächeln.
- Für die konkrete Ausgestaltung des „Inspirationsgenerators“ gibt es vielfältige Möglichkeiten: Analog ließe er sich aus zwei unabhängig voneinander drehbaren Scheiben bauen (könnte fertig montiert oder als Bausatz jedem Mitarbeiter geschenkt werden) oder als Lochkasten, in den hinter die Öffnungen für „das“ und „besser“ wechselnde Karten gesteckt werden (könnte an häufig frequentierten Stellen plaziert werden, damit im Vorbeigehen neu sortiert werden kann). Digital ließe sich eine App entwickeln, die bei jedem Aufruf eine neue Frage präsentiert, oder ein Bildschirmschoner, bei dem sich aus zunächst chaotisch bewegenden Worten immer wieder neue Fragen bilden, die dann für einen Moment stabil sichtbar bleiben. Solche Bewegtbilder könnten auch in die Abfolgen von anderen Anzeigen integriert werden, die sich auf Infoscreens abwechseln.
- Auch hier müssen Sie nicht alles selbst machen. Vor allem die verschiedenen Ersatzworte für „das“ und „besser“ können in Workshop- oder Online-Formaten gesammelt und immer wieder ergänzt werden. Abbildung 6 zeigt je ein Dutzend Anregungen zum Buchstaben „A“.
Abbildung 5: Anregung für einen spielerischen „Fragengenerator“.
Abbildung 6: Anregung für Begriffe, mit denen in der Frage „Wie kann man das besser machen?“ die Worte „das“ bzw. „besser“ ersetzt werden können.
Anregungen, wie Sie Rätsel als spielerische Denkanstöße und zur Inspiration verwenden können, finden Sie im Blogbeitrag „Inspiration und Anreize für Einreicher – eine Ideensammlung für nichtmonetäre Incentives“.
Last, not least weise ich auf das „Baumaterial für Geschäftsmodelle“ hin, mit dem Sie gedanklich Möglichkeiten für konzeptionelle Weiterentwicklungen Ihres Ideenmanagements „durchspielen“ können, und das wir im Blogbeitrag „Geschäftsmodelle für das Ideenmanagement – Teil 4: Geschäftsmodellentwicklung“ vorgestellt hatten.
Viel Spaß und Erfolg beim Spielen!
Danksagung: Für inspirierende Gespräche und die Beschreibungen der entsprechenden Praxisbeispiele bedanke ich mich sehr herzlich bei Peter Becker (Viessmann Climate Solutions SE), Simone Renz (KSB SE & Co. KGaA), Anja Rupprecht (Ottobock SE & Co. KGaA) und Johannes Walter (Liebherr-International Deutschland GmbH).
Ein nach Stichworten sortiertes Verzeichnis mit Links auf alle bisher erschienenen Beiträge im Blog zum Ideenmanagement finden Sie in diesem Register.
Alle Erwähnungen von Unternehmen und Produkten sind redaktioneller Natur und wurden nicht bezahlt.