KI in der Praxis: Unterstützung für Einreicher als Add-on zur Software

Geschrieben von: Dr. Hartmut Neckel am: 18.11.2024

  • Themen: Anwendungen von künstlicher Intelligenz KI im Ideenmanagement; Integration von KI in Ideenmanagementsoftware; Datenschutz und Datenhandling bei KI Nutzung; Unterschiede zwischen deterministischer, deskriptiver und generativer KI

Wohl in den meisten Unternehmen gibt es Einreicher, die bei der Entwicklung oder Formulierung ihrer Ideen Künstliche Intelligenz (KI) auf eigene Faust nutzen – so, wie generell immer mehr Menschen allgemein zugängliche KI auch für private Zwecke verwenden. Damit KI nicht (nur) neben der Software genutzt werden muss, sondern innerhalb der Ideenplattform verfügbar ist, arbeiten Unternehmen daran, KI-basierte Funktionalitäten in ihre Ideenmanagementsysteme zu integrieren. Was von dem, was dabei technisch möglich ist, ein sinnvoller und den Aufwand lohnender Use Case ist, wird sich zeigen. Im Folgenden skizziere ich Szenarien, wie das Ideenmanagement in der Praxis vorgehen könnte, um Einreicher mit KI zu unterstützen.

Szenarien für den Einsatz von KI im Ideenmanagement

Im Kennzahlenvergleich 2021 hatten knapp 3% der 239 Teilnehmer angegeben, KI für ihr Ideenmanagement zu nutzen, doch auf die Frage, ob KI in die Ideenmanagementsoftware integriert ist, haben zwei Jahre später im Kennzahlenvergleich 2023 nicht einmal 1% der 252 Teilnehmer mit „Ja“ geantwortet. Das spiegelt die eingangs beschriebene Situation wider: KI wird genutzt – und zwar mit Sicherheit inzwischen in sehr viel mehr Unternehmen als noch 2021 (für KI Zeitmaßstäbe „graue Vorzeit“)! – aber ist bislang nur vereinzelt ein integrierter Bestandteil der Ideenmanagementsoftware. Das ist nicht nur verständlich, sondern auch sinnvoll: Bevor Aufwand in die Entwicklung entsprechender Softwaretools gesteckt wird, sollte eine gewisse Erfahrungsbasis vorhanden sein, wofür und wie sich KI im Rahmen des Ideenmanagements nutzenstiftend verwenden lässt.

Mittlerweile sind viele Hersteller von Ideenmanagementsoftware große Schritte weiter und immerhin knapp 7% der Teilnehmer am Kennzahlenvergleich 2023 planen, demnächst eine mit KI ergänzte Software zu implementieren. Die Entwicklungen zur Nutzbarmachung von KI für das Ideenmanagement sind also in vollem Gange, und ein Blogbeitrag zu diesem Thema ist schon veraltet, bevor er veröffentlicht ist. Nachdem sich frühere Blogbeiträge den prinzipiellen Anwendungsmöglichkeiten von KI im Ideenmanagement gewidmet hatten (siehe z.B. „Digitalisierung und KI im Ideenmanagement“ und „Wo generative KI im Ideenmanagement helfen kann – und wo (noch) nicht“), unternehme ich hier nun trotzdem den Versuch, die unübersehbare und täglich wachsende Vielfalt der Nutzungsmöglichkeiten von KI aus der Sicht eines „KI-Laien mit Ideenmanagement-Expertise“ in drei konkrete Anwendungsszenarien zu strukturieren:

  • KI als Add-on zu klassischer Ideenmanagementsoftware
  • Idea Developer Suite mit modularem KI-Werkzeugkoffer
  • User Journey mit Step-by-step Coaching durch Chatbot Avatare

Alle Varianten werden bereits (zumindest in Ansätzen) realisiert oder lassen sich ohne weiteres mit den verfügbaren KI-Modellen realisieren. Jedes Szenario entspricht einem unterschiedlichen Service-Level, die möglichweise zukünftig bei der Ideenentwicklung und -eingabe zur Auswahl gestellt werden könnten. Ganz analog, wie bei manchen Online-Portalen zwischen einer Direkt- und einer Detailsuche unterschieden wird, könnte der Einreicher dann selbst entscheiden, ob er (wie bisher) seine Idee in ein Formular eingibt (und dabei situativ als Add-on angebotene KI-Funktionen nutzt), sich in das Umfeld einer modularen KI-Toolbox begibt, oder sich im Dialog mit einem Team von Avataren durch den gesamten Ideation-Prozess begleiten lässt.

Dieser Blogbeitrag widmet sich dem erstgenannten Szenario, Beiträge zu den anderen folgen. Ganz am Ende dieses Beitrags sind einige Ausführungen zu Datenschutz und Datenhandling sowie Erläuterungen zu den verschiedenen Arten von KI zusammengestellt.

 

KI als Add-on zu klassischer Ideenmanagementsoftware

Eine klassische Ideenmanagementsoftware sieht üblicherweise eine formularbasierte Ideeneingabe vor. Neben Pflichtfeldern zur Person des Einreichers sind der „Titel“ oder ein „Kurztext“ zum Thema der Idee, die Beschreibung des „Ist-Zustands“ (was verbessert werden soll) und die Beschreibung der „Verbesserung“ (wie es verbessert werden könnte) typische Felder solcher Formulare. Bei den meisten Softwareprodukten lässt sich kundenspezifisch konfigurieren, welche weiteren Felder hinzukommen sollen, etwa für Angaben zu betroffenen Anlagen, Teilen, Kostenstellen, Abteilungen, zur Höhe des erwarteten finanziellen Nutzens oder zu passenden inhaltlichen Klassifikationen und in Frage kommenden Gutachtern.

  • Hier gilt es eine Balance zu finden, einerseits genügend Informationen abzufragen (was zur Erhöhung der Qualität der Idee und zur Beschleunigung der Bearbeitung beitragen kann) und andererseits eine abschreckende Überfrachtung zu vermeiden.
  • Manche Unternehmen sehen auch zwei Arten der Eingabe (und des nachfolgenden Workflows) vor: ohne Angabe eines Nutzens wird die Idee in einem „kleinen Regelkreis“ bearbeitet, mit Angaben zum Nutzen kommt sie in einen „großen Regelkreis“. Dieses Prinzip lässt sich beim Angebot von KI-Unterstützung noch weiter ausbauen, mehr dazu später.

Grundfunktionen einer KI-Unterstützung können bereits auf dieser Basis relativ leicht hinzugefügt werden:

Spracheingabe: Neben jedem Feld kann ein Mikrofon-Button aktiviert werden, um den jeweiligen Text einzusprechen.

Übersetzung: Die Kommunikation zwischen Einreicher und Software kann in einer beliebigen Sprache erfolgen. Für die Dokumentation in der Software übersetzt die KI eingegebene Texte automatisch in die „Unternehmenssprache“.

  • Der Unterschied (und Mehrwert) einer KI-basierten Übersetzung gegenüber klassischen Übersetzungsprogrammen besteht darin, dass das Sprachmodell einer KI besser in der Lage ist, den „Sinn“ des Texts zu erfassen und anstelle einer wörtlichen Übersetzung einen sinngemäßen Text zu erstellen.
  • Genau diese „Sprachkompetenz“ kommt auch bei den meisten der nachfolgend genannten Funktionen zum Zuge.

Zusammenfassung: Die KI kann genutzt werden, den in das Feld eingegebenen (oder in einem Anhang hochgeladenen) Text prägnanter zusammenzufassen oder eine bestimmte Anzahl von Kernpunkten hervorzuheben. Der von der KI generierte Entwurf kann anschließend noch vom Einreicher korrigiert werden.

Ausformulierung: Ebenso kann die KI genutzt werden, aus den in das Feld eingegebenen Stichworten einen vollständig ausformulierten Text zu entwerfen. Der von der KI generierte Entwurf kann anschließend noch vom Einreicher korrigiert werden.

 Blog 103 1 Spracheingabe 2024 11 18

Abbildung 1: Über zusätzliche Buttons könnten direkt feldbezogene KI Funktionen aufgerufen werden, um die Eingabe und Formulierung von Ideen zu unterstützen – hier per Spracheingabe und Zusammenfassung.

Blog 103 2 Ausfhrlicher 2024 11 18

Abbildung 2: Anwendungsbeispiel für eine ausführlichere und professioneller klingende Formulierung eines Vorschlags.

Kategorisierung / Klassifikation: Anstatt dass der Einreicher eine inhaltliche Kategorie aus einer langen Liste auswählen muss, schlägt die KI auf der Basis der eingegebenen Texte eine oder mehrere Kategorien vor (und verringert so die Qual der Wahl).

  • Mittlerweile zeichnet sich ab, dass die Datenmenge selbst in Unternehmen mit einem sehr großen Bestand an Vorschlägen nicht ausreicht, um eine (deterministische) KI so zu trainieren, dass sie anhand von Mustererkennung einem Vorschlag die „richtige“ Klassifikation mit ausreichender Trefferquote zuordnen könnte (mehr zu dieser Problematik und zum Unterschied zwischen „deterministischer“ und „generativer“ KI finden Sie am Ende dieses Blogbeitrags; ein erster Versuch in der angesprochenen Richtung wurde im Blogbeitrag „Künstliche Intelligenz für das Ideenmanagement“ vorgestellt).
  • Wie am Ende dieses Blogbeitrags näher erläutert, besteht ein Ausweg darin, von einer (generativen) KI zunächst eine mögliche Kategorie mit Hilfe ihrer Sprachkompetenz formulieren und diese dann mit der Liste der im jeweiligen Unternehmen vorgesehenen Klassifikationen abgleichen zu lassen, um die am besten passende auszuwählen.

Dubletten- / Ähnlichkeitscheck: Zusätzlich zur Auflistung ähnlicher Ideen könnte die KI eine zusammenfassende Übersicht deren Inhalte sowie eine Zusammenstellung der Gesichtspunkte, die für ihre Bewertung relevant waren, erstellen. Der Einreicher wählt, ob er sich neben der Anzahl der ermittelten ähnlichen Vorschläge nur die Übersichten oder auch die vollständigen Vorschläge anzeigen lassen möchte. Weitere Varianten könnten darin bestehen, dass der Einreicher bereits nach der Beschreibung des zu verbessernden Ist-Zustands nach früheren Ideen und Vorschlägen zu ähnlichen Zuständen sowie deren Ergebnissen fragen kann.

  • Während klassische Dubletten- oder Ähnlichkeitschecks in ihrem Nutzen dadurch begrenzt waren, dass sie nur solche Vorschläge gefunden haben, in denen Begriffe mit denselben Wortstämmen oder Grundformen (sowie im Hintergrund vielleicht hinterlegte Synonyme) wie im aktuellen vorkamen, kann eine (generative) KI aufgrund ihrer Sprachkompetenz auch solche Vorschläge erkennen, die ähnlich Inhalte betreffen, selbst wenn dort zur Beschreibung ganz andere Begriffe verwendet werden als im aktuellen.
  • Solche „semantische Suchen“ stellen allerdings besondere Anforderungen an die Art der Datenbank, in der die Inhalte der Vorschläge gespeichert sind (sog. „Vektordatenbanken“). Ähnlichkeitssuchen in eine Ideenmanagementsoftware zu integrieren, kann also größere Herausforderungen mit sich bringen, als Übersetzungen und Transformationen von Texten. Doch das sind Themen für IT- und KI-Spezialisten…
  • Das Datenmaterial, in dem nach ähnlichen Inhalten gesucht wird, muss übrigens nicht auf die bisherigen Vorschläge begrenzt bleiben. Auch Besprechungsprotokolle, Projektberichte und die im Unternehmen evtl. vorhandene Patentliteratur könnten einbezogen werden. Dabei müssten eventuell weitere Schutzmechanismen (nicht jeder Mitarbeiter darf Zugriff auf alle Protokolle und Berichte haben) und Zwischenschritte etwa für die „Übersetzung von Patentsprache in Normalsprache“ eingebaut werden (wofür es bereits eigene KI Apps gibt).
  • Dass sowohl Dubletten- / Ähnlichkeitschecks als auch Entwürfe für Kategorisierungen / Klassifikationen sprachenunabhängig bzw. übergreifend erfolgen, versteht sich von selbst …

Blog 103 3 Klassifikation 2024 11 18

Abbildung 3: Anwendungsbeispiel für KI Unterstützung bei der Auswahl einer Klassifikation.

Blog 103 4 Teaserbild 2024 11 18

Abbildung 4: Anwendungsbeispiel für das Angebot eines von der KI anhand des formulierten Vorschlags generierten Teaser-Bilds.

Visuelle Aufwertung: Anhand der eingegebenen Texte generiert die KI automatisch ein Teaser-Bild zur jeweiligen Idee (oder auch mehrere, aus denen der Einreicher eines auswählen kann).

Information on demand: Last, not least steht jederzeit ein Chatbot zur Verfügung, um Fragen des Einreichers zu den Regeln und Abläufen des Ideenmanagements oder zur Bedienung der Software zu beantworten (siehe Blogbeitrag „FAQ-Listen und Chatbots: Das eine tun. Das andere nicht lassen.“).

Blog 103 5 KI Assistent 2024 11 18

Abbildung 5: Anwendungsbeispiel für einen KI-Assistenten, der situativ mit seinem Angebot an Unterstützungsmöglichkeiten aufgerufen werden kann.

Der Zugriff auf diese Funktionen könnte über Task-Leisten erfolgen, in denen sie über entsprechende Buttons (mit hinterlegten Erklärungstexten) aufgerufen werden (Abbildungen 1-4). Da Fragezeichen-Buttons, mit denen Informationstexte und Hilfen aufgerufen werden, allgemein vertraut sind, dürften zusätzliche Buttons keine Akzeptanzprobleme haben. Oder es könnte ein allgemeiner KI-Assistent aufgerufen werden, der diese Funktionen zur Auswahl anbietet (Abbildung 5). Wie auch immer: Der Einreicher kann jederzeit selbst entscheiden, ob er die entsprechenden Unterstützungsangebote der KI situativ in Anspruch nehmen will. In den Abbildungen 1 bis 5 sind derartige Zutaten zu Eingabemasken zur prinzipiellen Veranschaulichung der angesprochenen Möglichkeiten visualisiert.

Im Hintergrund der Software müssten für Funktionen wie „Ausformulierung“ oder „Zusammenfassung“ Prompts fest verdrahtet sein, die der KI die Anweisung geben: „Formuliere für folgenden Text eine Ausformulierung / Zusammenfassung: [Feldinhalt]“. Entsprechende Prompts werden auch für einen erweiterten Dubletten- / Ähnlichkeitscheck benötigt, um die KI anzuweisen, was sie mit den Ergebnissen der automatisierten Ähnlichkeitssuche tun soll.

Funktionen, wie die hier beschriebenen, als Add-ons einer klassischen Ideenmanagementsoftware hinzuzufügen, dürfte nicht besonders schwierig sein. Allerdings muss jeweils geklärt werden, wie die Prompts, die auf das unternehmensinterne Sprachmodell zugreifen, eingerichtet und gepflegt werden, und wie Formulierungsvorschläge der KI für Klassifikationen einer Idee mit den im Unternehmen vorgesehenen Kategorien abgeglichen werden. Dies wird einfacher, wenn für die Ideenmanagementsoftware nicht das Sprachmodell des Unternehmens, sondern ein Sprachmodell des Softwareherstellers genutzt wird. Dazu mehr im nächsten Absatz.

 

Hinweise zu Datenschutz und Datenhandling

Wenn Einreicher eine allgemein zugängliche generative KI auf dem Server eines externen Anbieters nutzen, kann man nur hoffen, dass das von ihnen dabei eingegebene Text-, Bild- oder Datenmaterial keine sensiblen Themen des Unternehmens betrifft.

  • Ein erster, sehr sinnvoller Schritt besteht deshalb darin, den Zugang zu solchen offenen, ungeschützten Services klar zu regeln.
  • Ein zweiter, ebenfalls sinnvoller Schritt besteht darin, dass das Unternehmen selbst ein KI-Modell erwirbt (oder sicherstellt, dass der genutzte Service in einem geschützten Bereich auf einem Server in Europa oder Deutschland betrieben wird). Dieses eigene bzw. geschützte Modell könnte dann allen Mitarbeitern zugänglich gemacht werden – zumindest für die Nutzung bestimmter Grundfunktionen (z.B. Anfertigen von Übersetzungen, Zusammenfassungen, kreativen Ideensammlungen und Entwürfen).
  • Alternativ könnten auch Softwarehersteller neben dem Server, auf dem sie die Anwendungen ihrer Kunden hosten, einen weiteren Server einrichten, auf dem ein eigenes Sprachmodell („Large Language Model LLM“) läuft. Dies hätte aus Kundensicht den Vorteil, dass die Prompts, mit denen Eingaben in der Ideenmanagementsoftware in Anweisungen für die KI „übersetzt“ werden, nicht vom Kunden selbst gepflegt werden müssten. Nachteil wäre allerdings, dass die KI nicht mit den beim Kunden vorhandenen Materialien trainiert werden kann und daher „dümmer“ bliebe als ein mit unternehmensinternen Informationen weiter trainiertes Sprachmodell.

Ob die Hersteller von Ideenmanagementsoftware diese nun mit einer eigenen KI kombinieren oder eher darauf setzen, das KI-Modell des jeweiligen Kunden zu verwenden, mag sich sowohl je nach Anwendungsfall als auch nach Hersteller unterscheiden. Denkbar sind auch Mischformen, indem beispielsweise ein Modul zur Erzeugung eines Teaserbilds zu jeder eingegebenen Idee durch KI auf Servern des Softwareherstellers laufen könnte, während zur Erzeugung von Texten auf das Sprachmodell des Unternehmens zugegriffen wird.

  • Ein dritter sinnvoller Schritt bei der Integration von KI in unternehmensintern genutzte Software besteht nicht zuletzt in der Schulung der Mitarbeiter, die diese Software nutzen – insbesondere im Hinblick auf die grundsätzlich begrenzte Verlässlichkeit der von einem Sprachmodell gelieferten Antworten. Denn diese klingen immer sehr gut und „wahr“, können aber auch dann, wenn es „nur“ um die Transformation vorgegebener Texte geht, selbst bei den besten generativen KI-Modellen halluzinierte Anteile enthalten.
  • Ob es (etwa aus Gründen der Rechtssicherheit) sinnvoll oder erforderlich sein wird, neben dem mit Hilfe einer KI formulierten Vorschlag auch jeweils die Original-Eingaben des Einreichers zu speichern, wird sich zeigen, vielleicht auch von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich sein.

 

Erläuterungen zu den verschiedenen Arten von KI

Ein Sprachmodell wie ChatGPT wurde darauf trainiert, auf Anfragen und Aufforderungen „wahrscheinliche“ Texte zu generieren. Wie im Blogbeitrag „Was sagt eigentlich ChatGPT zum Ideenmanagement?“ erläutert, „lernt“ ein Sprachmodell, indem es mit Hilfe statistischer Verfahren die Parameter seiner Berechnungsformeln so anpasst, dass der von ihm generierte Output der Häufigkeit des Sprachgebrauchs und der Zusammenhänge im Trainingsmaterial möglichst nahekommt. Eine „kreative“ Komponente wird dadurch eingebaut, dass generative KI bei der Formulierung ihrer Antworten Zufallszahlen verwenden. Dadurch fallen Antworten auf ein- und dieselbe Eingabe jedesmal wieder anders aus, wenn auch nicht völlig zufällig. Denn die KI berechnet die Wahrscheinlichkeiten für verschiedene Wortfolgen oder für visuelle Gestaltungselemente basierend auf dem Kontext der aktuellen Eingabe und dem früheren Training. Insofern könnte man von einer „kontrollierten Zufälligkeit“ sprechen. Entsprechendes gilt für KI-Modelle, die für die Generierung von Bildern, Grafiken, Diagrammen, Videos oder Programmcodes trainiert wurden.

  • Dieser Hintergrund bewirkt, dass der „Wissensstand“ von Sprachmodellen zunächst an dem Zeitpunkt stehenbleibt, zu dem ihr Training abgeschlossen ist. Auf eine Informationsfrage können sie eine Antwort geben, die auf diesem Stand der Dinge „wahrscheinlich“ klingt. Und auch dann, wenn sie frei halluziniert wurden, werden die Antworten meist so formuliert, dass sie als „wahr“ „scheinen“ (siehe Blogbeitrag „Wo generative KI im Ideenmanagement helfen kann – und wo (noch) nicht“).
  • Unbenommen bleibt, dass die enorme Sprachkompetenz des Sprachmodells genutzt werden kann, beispielsweise aktuellere oder inhaltlich gesicherte Informationen, die man ihr dafür ein- bzw. vorgibt, umzuformulieren oder zu übersetzen. Ebenso kann das Sprachmodell für sperrige Begriffe besser eingängige Synonyme vorschlagen oder für Texte eine Zusammenfassung oder einen prägnanten Titel verfassen. Wie im zuletzt genannten Blogbeitrag erläutert, ist die Gefahr von Halluzinationen bei solchen „Transformationen“ vorgegebener Inhalte deutlich geringer (wie bereits erwähnt, ist sie trotzdem stets vorhanden!).
  • Das machen sich nun Dienste wie Perplexity oder Bing zunutze, indem sie ihr Sprachverständnis zunächst dafür einsetzen, um zu erkennen, ob es sich bei der Eingabe um eine kreative Aufgabe oder um eine Sachfrage handelt.
  • Bei kreativen Aufgaben nutzen sie ihr im Training erworbenes Verständnis für die typischen Strukturen, Elemente und Sprachstile der verschiedensten literarischen Formen und Autoren. Indem sie auf dieser Basis bekannte Elemente auf neue Weisen kombinieren, sind sie in der Lage, kreative Texte und Inhalte zu generieren. Dabei können sie auch Vorgaben des Nutzers (z.B. Stichworte zu gewünschten Inhalten oder Formaten) berücksichtigen und einbinden. Das macht ihren Wert für Zwecke der „Inspiration“ aus.
  • Bei Sachfragen werden dagegen anhand der Eingabe des Nutzers ein (oder mehrere) Prompt(s) für eine aktuelle Internetrecherche erzeugt. Die Inhalte der gefundenen Webseiten werden anschließend mit Hilfe der Sprachkompetenz zu einer neuen eigenständigen Antwort zusammengefasst. In der Erfolgsquote, dabei die relevanten und „richtigen“ Seiten zu finden – und damit in der Zuverlässigkeit der gelieferten „Information“ – dürfte derzeit Perplexity vorn liegen. Mit Blick auf den Datenschutz könnte an die Stelle einer Internetrecherche auch eine auf das Intranet bzw. die aktuellen unternehmensinternen Datenbestände begrenzte Recherche treten.

Deutlich andere Arten als „generative“ KI könnte man als „deterministische“ oder „deskriptive“ KI bezeichnen. Dazu gehören beispielsweise Programme, die darauf trainiert wurden, bestimmte Muster zu erkennen. Bei einer Gesichtserkennung oder bei einer KI, die Krebszellen von gesunden Zellen unterscheiden soll, muss das Ergebnis bei gleichem Input stets dasselbe sein. Eine „kreative Vielfalt“ im Antwortverhalten ist genau das, was ausgeschlossen sein soll! Der grundlegende Unterschied zwischen diesen Arten lässt sich an einem Beispiel aus dem Ideenmanagement verdeutlichen, wenn die KI dabei helfen soll, einem konkreten Vorschlag die „richtige“ Klassifikation oder den „richtigen“ Bearbeiter (Gutachter, Entscheider) zuzuordnen.

  • Eine deterministische KI müsste zunächst mit einer großen Anzahl von vorhandenen Vorschlägen trainiert werden, denen die „richtigen“ Klassifikationen oder Bearbeiter bereits zugeordnet sind. Wenn man nach abgeschlossenem Training der KI mehrfach denselben neuen Vorschlag eingibt, würde sie ihn jedesmal wieder derselben Klassifikationen bzw. demselben Bearbeiter zuordnen. Der Lernerfolg der KI und damit die Trefferquote der Zuordnung neuer Vorschläge hängen von der Datenmenge des Trainingsmaterials ab. Und genau das ist das Problem: Derzeit sieht es so aus, dass auch in Unternehmen, die über einen Bestand von zigtausenden Vorschlägen mit richtigen Zuordnungen verfügen, diese Datenmenge bei weitem nicht ausreicht, um eine auch nur halbwegs brauchbare Trefferquote zu erzielen.
  • Als Ersatz könnte eine generative KI aufgefordert werden, aus einer Liste vorgegebener Klassifikationen diejenige auswählen, die gemäß Sprachverständnis der KI am besten zu den Inhalten des Vorschlags passt. Im Hintergrund könnte das eventuell auch in zwei Schritten erfolgen: Zuerst formuliert die KI Begriffe, die zur Charakterisierung und Kategorisierung der eingegebenen Idee geeignet scheinen. Dann wählt sie aus der Liste vorgegebener Klassifikationen diejenige aus, die am ehesten zu den formulierten Begriffen passt. Ob Verfahren dieser Art auch gangbar sind, um Gutachter zuzuordnen, hängt davon ab, ob sich in Stellenfunktionsbeschreibungen oder im Organigramm des Unternehmens genügend brauchbares Textmaterial findet, das die KI zum Abgleich mit den von ihr generierten Stichworten verwenden kann. In der Praxis der meisten Unternehmen dürften die Chancen hierfür eher gering sein.
  • Einer KI Referenztexte zur Verfügung zu stellen, empfiehlt sich übrigens auch, um bei Übersetzungen die einschlägigen Fachtermini des Unternehmens zu berücksichtigen.

 

Fazit: KI wird sehr viel schneller Eingang in Ideenmanagementsoftware finden, als noch vor kurzer Zeit gedacht. Die Frage ist nicht mehr „ob?“, sondern nur noch „wie?“. Welche Use Cases wirklich von Nutzen sind, bleibt ein spannendes Thema für Benchmarking und Erfahrungsaustausch.

 

Lesen Sie mehr zum Thema KI und Ideenmanagement:

 

Ein nach Stichworten sortiertes Verzeichnis mit Links auf alle bisher erschienenen Beiträge im Blog zum Ideenmanagement finden Sie in diesem Register.

 

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Dr. Hartmut Neckel

Dr. Hartmut Neckel

Zum Autor: Dr. Hartmut Neckel ist einer der profiliertesten Vordenker und erfahrensten Praktiker im Themenbereich Ideenmanagement, Innovation und kontinuierliche Verbesserungsprozesse. >> Mehr

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