Ein Blick auf die Aufgaben und auf die Bedeutung ihrer Erledigung
Die Tätigkeit als Gutachter oder Entscheider im Ideenmanagement wird kaum aus eigenem Interesse übernommen. Man wird Gutachter oder Entscheider durch die mit der jeweils besetzten Position verbundenen (fachlichen) Zuständigkeit (also „qua Amt“) oder durch explizite Zuweisung. Das hatten wir bereits im Blogbeitrag „Vom Nutzen des Ideenmanagements für Gutachter & Co.: Mehr als (nur) Pflichterfüllung!“ mit Verweis auf Untersuchungsergebnisse von Andrea Badura und Johanna Fuchs erwähnt.
In seiner fachlichen Expertise und Entscheidungskompetenz gefragt zu werden, geht allerdings nicht nur vom Ideenmanagement aus. Jedem, der die Zuständigkeit beispielsweise für Arbeitssicherheit, Einkauf, IT, Marketing, Qualität, eine bestimmte Anlage oder einen bestimmten Prozess übernimmt, muss klar sein, dass er damit automatisch für alle anderen Bereiche Ansprechpartner zu „seinem“ Thema wird. Dass die Abhängigkeit der anderen von spezialisierten Kompetenzträgern auch außerhalb des Ideenmanagements zu Ärgernissen führen kann, hatten wir in Abbildung 1 des bereits genannten Blogbeitrags „Vom Nutzen des Ideenmanagements für Gutachter & Co. …“ veranschaulicht.
Die Aufgaben, die mit einer Tätigkeit als Gutachter oder Entscheider im Ideenmanagement verbunden sind, bleiben ungeachtet aller sonstigen Weiterentwicklungen im Ideenmanagement im Wesentlichen unverändert: Stets geht es darum, dass Ideen geprüft, bewertet und entschieden werden müssen, in der Regel auch, getroffene Entscheidungen zu kommunizieren und im positiven Fall deren Umsetzung zu veranlassen und zu begleiten (nach Maier et al.: Der ldeengutachter. In: Ideen- und Innovationsmanagement 2/2014, 39-43. Berlin: Erich Schmidt Verlag).
- Unterschiede in Einzelheiten können darin bestehen, ob von Gutachtern lediglich Stellungnahmen aus ihrer jeweiligen Spezialisten-Sicht gefragt sind, die in den Entscheidungsprozess eines Entscheiders einfließen, oder ob sie ausgereifte Entscheidungsvorlagen anfertigen sollen, die von einem Entscheider (oder einem Entscheidungsgremium) nur noch bestätigt werden müssen.
- Zusätzliche Erwartungen können darin bestehen, Kontakt mit dem Einreicher aufzunehmen, um die Idee besser zu verstehen oder um Feedback zur Entscheidung zu geben, oder darin, Ideen weiterzuentwickeln, um aus ihnen das Beste zu machen (ebd.).
- Trotz der Kontinuität im Kern der Tätigkeit bleiben natürlich die Veränderungen in den Modellen und Methoden des Ideenmanagements nicht ohne Auswirkungen auf die Anforderungen an Gutachter und Entscheider, teilweise bieten sie ihnen auch Vereinfachungen und neue Möglichkeiten. Beispiele sind etwa …
... die Öffnung des Ideenmanagements für Externe (im Sinne eines „Open Idea Management“; beim „Kennzahlenvergleich Ideenmanagement 2021“ gaben 21% der Teilnehmer an, dies zu nutzen);
... die Einbeziehung einer (virtuellen) Community, etwa zur Erstellung einer Vorauswahl in einem mehrstufigen Bewertungsprozesse (siehe unten sowie Praxisbeispiel der Generali Deutschland AG im Blogbeitrag „Erfolgsfaktor 3/9 – Prozess: Organisation“; beim „Kennzahlenvergleich Ideenmanagement 2021“ gaben 19% der Teilnehmer an, Likes, Votes, Kommentare oder Ergänzungen aus der Community zu ermöglichen);
... die Verlagerung von Teilen des Begutachtungs- und Entscheidungsprozesses auf Teamstrukturen auf dem Shopfloor oder auf andere Elemente der Regelkommunikation;
... die Integration von Künstlicher Intelligenz KI in das Softwaresystem des Ideenmanagements (siehe unten).
Die Art und Weise, wie Gutachter und Entscheider diesen Aufgaben, Erwartungen und Anforderungen gerecht werden, ist maßgeblich für die Zufriedenheit der Einreicher, der Unternehmensleitung und der für das Ideenmanagement zuständigen Personen. In der oben erwähnten Untersuchung „Der ldeengutachter“ hatten Maier et al. Anforderungen an Gutachter gemäß Kano-Modell danach sortiert, ob es sich um Basis-, Leistungs- oder Begeisterungs-Anforderungen handelt. Ergänzt um weitere Punkte wären demnach:
Basismerkmale, die als Selbstverständlichkeit (unbewusst) vorausgesetzt werden, so dass ihr Vorhandensein keine Zufriedenheit, wohl aber ihr Fehlen Unzufriedenheit auslöst:
- Neutralität und Sachlichkeit von Bewertung und Entscheidung
- Bewertung und Entscheidung auf der Basis von fachlicher Kompetenz
- Einhaltung der Fristen für die Begutachtung und Entscheidung (und Kommunikation bei Fristüberschreitung)
- Fähigkeit zur Bedienung und Nutzung des (Software)-Tools des Ideenmanagements
Leistungsmerkmale, die bewusst wahrgenommen werden, und die Unzufriedenheit beseitigen oder je nach Ausmaß ihrer Erfüllung Zufriedenheit steigern:
- Wertschätzung (gleichermaßen bei Ablehnungen wie Umsetzungen)
- Offenheit und Interesse für Ideen, Aufgeschlossenheit für Neues
- Kontaktaufnahme mit dem Einreicher
- Kontaktaufnahme mit potenziellen Umsetzern (z.B. zur Klärung von Machbarkeit und vom Vorhandensein benötigter, auch personeller, Ressourcen)
- Eigenständige Weiterentwicklung von Ideen (zugunsten des Einreichers und des Unternehmens)
Begeisterungsmerkmale, deren Vorhandensein Begeisterung auslöst, weil mit ihnen nicht unbedingt gerechnet wurde:
- Intrinsisch motivierte Ausübung der Tätigkeit als Gutachter oder Entscheider
- Der Aufbau und die Pflege eines eigenen Netzwerks mit anderen Experten kann eine weitere Begeisterungsanforderung an Entscheider sein, damit sie selbstständig in der Lage sind, für ihre Entscheidung erforderliche Stellungnahmen einzuholen.
Die hier genannten Anforderungen und Merkmale sind sicherlich erstens noch zu ergänzen, und zweitens werden verschiedene Personen manches aufgrund unterschiedlicher Erwartungshaltungen auch anders einstufen. In dem einen Unternehmen mag es etwa eine Selbstverständlichkeit sein, dass Gutachter oder Entscheider aus einer Idee das Beste machen, in einem anderen löst es Begeisterung aus, wenn es mal geschieht …
Abbildung 1: Aufgaben und Anforderungen für Gutachter und Entscheider (frei nach Maier et al.: „Der Ideengutachter“)
Möglichkeiten zur Motivation, Unterstützung und Entlastung
Unabhängig davon, ob auch andere Bereiche die gleichen Pain Points haben, ist das Ideenmanagement gefordert, von seiner Seite nach Kräften zur Motivation, Unterstützung und Entlastung von Gutachtern und Entscheidern beizutragen. Neben der Verdeutlichung des „Nutzens des Ideenmanagements für Gutachter & Co.“ und des „Nutzens für Entscheider“ ist eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten denkbar, auf die ich im Folgenden im Sinne eines Brainstormings näher eingehe.
- Förderung einer guten Ausarbeitung und Qualität von Vorschlägen, um damit deren Bearbeitung zu erleichtern. Welche Maßnahmen sich im „Kennzahlenvergleich Ideenmanagement 2023“ als dafür besonders wirkungsvoll zeigten, war Gegenstand in den Blogbeiträgen „Mehr, besser, lohnender: Wie Sie das Olympische Motto auf Ideen ummünzen“ und „Von Vorschlägen, Kampagnen und Einsparungen: Phänomene und Interpretationen“.
- Arbeitshilfen (z.B. Bewertungstabellen, Checklisten, FAQs, Leitfäden). Beispiele und Vorlagen finden Sie in der „Toolbox Ideenmanagement“, Abschnitt 4.3.3.
- Digital geführte Bearbeitung (z.B. Auswahlmenus, hinterlegte Berechnungsschemata). Einige Beispiele typischer Funktionen in „klassischer“ Ideenmanagementsoftware sind im Blogbeitrag „Digitalisierung und KI im Ideenmanagement“ aufgeführt.
- KI-basierte Unterstützung (z.B. für Ähnlichkeits-Checks, Formulierungshilfen, Pro- und Contra-Argumente). Grundsätzliche Möglichkeiten hierfür wurden in den Blogbeiträgen „Digitalisierung und KI im Ideenmanagement“ und „Wo generative KI im Ideenmanagement helfen kann – und wo (noch) nicht“ skizziert, weitere Konkretisierungen folgen.
- Schulungen (Präsenz, E-Learning, Lern-Videos) für Fach- und Führungskräfte. Wie im Blogbeitrag „Mehr, besser, lohnender: Wie Sie das Olympische Motto auf Ideen ummünzen“ berichtet, zeigen Trainings für Vorgesetzte im Vergleich der untersuchten Ansatzpunkte den drittstärksten Zusammenhang mit Erfolgswerten im Ideenmanagement. Praxisbeispiele finden Sie im Blogbeitrag „Erfolgsfaktor 9/9 – Ressourcen: Know-how“. Neben Schulungen mit direktem Bezug zum Ideenmanagement können für Gutachter und Entscheider auch Trainings zu Schlüsselqualifikationen wie Zeit- und Selbstmanagement hilfreich sein.
- Individuelle Beratung und Unterstützung durch das Ideenmanagement (z.B. situativ nach Bedarf, individuelle Jours Fixes).
- Möglichkeit des Bearbeiters, unausgereifte Vorschläge an den Einreicher zurückzuspielen.
- Organisierte Gespräche zwischen Gutachter und/oder Entscheider mit dem Einreicher. Ein Praxisbeispiel wurde im Blogbeitrag „Pitches im Ideenmanagement: Persönliche Kommunikation für bessere Ergebnisse“ vorgestellt.
- Möglichkeit des Bearbeiters, sich Unterstützung durch Andere zu holen (z.B. Feedback aus einer virtuellen Community anfragen, Workshops zur gemeinsamen Bearbeitung veranstalten).
- Vorselektion oder Vorbewertung durch die Community, im Rahmen von Teammeetings auf dem Shopfloor oder in anderen Elementen der Regelkommunikation.
- Transparenz über den Stand der Bearbeitung (z.B. Listen offener oder überfälliger Vorschläge pro Gutachter / Entscheider, Listen der ältesten noch offenen Vorschläge).
- Visualisierung des voraussichtlichen Nutzens, der in den noch offenen Vorschlägen als ungenutztes Potenzial schlummern könnte.
- Mehrfache Weiterleitung als Indikator dafür nutzbar machen, dass der Vorschlag ein „Kandidat für Langläufer“ ist und ein Einschreiten des Ideenmanagements erfordert (oder: mehrfache Weiterleitung unterbinden, um für direkte Einbindung des Ideenmanagements zu sorgen).
- Kraftakte und Crash-Aktionen, die bei Bedarf („Staubildung“) vom Ideenmanagement oder der Unternehmensleitung (z.B. in Form von gemeinsamen Abarbeitungsmeetings/-workshops) veranlasst werden.
- Klare Zielvorgaben und Aufgabenzuweisung durch die Unternehmensleitung (inkl. ausdrückliche Nennung in Stellenbeschreibungen), verbunden mit einem Reporting- und Eskalationssystem. Mehr zum Thema Ziele und Reporting finden Sie in den Blogbeiträgen „Ziele für das Ideenmanagement – Vorteile, Risiken und Nebenwirkungen“ und „Erfolgsfaktor 5/9 – Commitment: Ziele und Reporting“.
- Zeitnahe Reaktion der Unternehmensleitung bei Fristüberschreitungen (z.B. direkte Ansprache der Bearbeiter).
- Definierte Zeitbudgets für die Bearbeitung (Begutachtung, Entscheidung) von Vorschlägen.
- Finanzielle Anreize oder geldwerte Incentives für Gutachter und Entscheider mit einer guten Performance. Wie ein Zielsystem aussehen kann, bei dem auch Führungskräfte von einer Zielerreichung im Ideenmanagement profitieren, zeigt das Beispiel im Blogbeitrag „Ziele für das Ideenmanagement – Vorteile, Risiken und Nebenwirkungen“.
- Verteilung von personalisierten Give-aways, Vergabe von Privilegien (z.B. bevorzugte Parkplätze), Einladung zur besonderen Veranstaltungen (z.B. „Gutachterfrühstück“).
- Ideelle Incentives (z.B. Lob, Ehrungen, Auszeichnungen durch maßgebliche Personen).
- Einbeziehung in die Weiterentwicklung des Ideenmanagements. Das Praxisbeispiel eines Fragebogens zur Berücksichtigung des Feedbacks von Gutachtern finden Sie im Blogbeitrag „Erfolgsfaktor 6/9 – Commitment: Anerkennung“.
- Soziale Anerkennung, Prestige- und Prominenzgewinn (z.B. durch Bekanntmachung im Unternehmen). Ein Praxisbeispiel für Grußkarten, mit denen das Ideenmanagement Anerkennung und Wertschätzung für Gutachter und Entscheider vermitteln kann, finden Sie im Blogbeitrag „Erfolgsfaktor 6/9 – Commitment: Anerkennung“.
- Möglichkeit, Awards oder Preise zu gewinnen (z.B. Kür der Top Gutachter / Entscheider).
- Aussicht auf bessere Karrierechancen, Berücksichtigung in Karriereprogrammen (siehe auch Blogbeitrag „Ideenmanagement und Personalabteilung als Bündnispartner“).
Abbildung 2: Übersicht der 24 Tipps zur Motivation, Unterstützung und Entlastung von Gutachtern und Entscheidern
Was übrigens ChatGPT vor über eineinhalb Jahren auf die Frage geantwortet hatte, welche Möglichkeiten es gibt, die Gutachter zu motivieren, ihre Aufgaben in einer vorgegebenen Zeit zu erledigen, können Sie im Blogbeitrag „Was sagt eigentlich ChatGPT zum Ideenmanagement?“ nachlesen. Parallel können Sie sich selbst aktuelle Antworten generieren lassen …
Interessant wird nun, welche der voranstehenden Möglichkeiten in der Praxis tatsächlich in welchem Ausmaß genutzt werden (und welche noch, die hier gar nicht vorkamen!). Noch interessanter: bei welchen sich dann die stärksten positiven Zusammenhänge mit der Abarbeitung (oder auch anderen Kennzahlen) zeigen.
Die Antworten werden Sie als Teilnehmer am „Kennzahlenvergleich Ideenmanagement 2024“ in Ihrem individuellen Ergebnisbericht lesen können.
Weitere Informationen zum Konzept des Kennzahlenvergleichs und zum Nutzen einer Teilnahme finden Sie in folgenden Blogbeträgen:
- Kennzahlenvergleich Ideenmanagement 2019 – Orientierungshilfe und Anregung
- Neugier und Offenheit: beste Voraussetzungen für Lernen und Weiterentwicklung!
Ein nach Stichworten sortiertes Verzeichnis mit Links auf alle bisher erschienenen Beiträge im Blog zum Ideenmanagement finden Sie in diesem Register.